„Aber Herr Jürgens, jetzt stellen Sie sich mal nicht so an Sie haben eine simple Erkältung.“


„Erkältung? Der hat mal wieder Koks geschnupft und wohl etwas von dem Zeugs verschluckt.“


Interessiert blickte Oberschwester Elfriede von der älteren Dame zu ihrem Sohn und zurück. Dass Ehefrauen ihre Männer in die Notaufnahme begleiteten kam ja öfter vor. Aber dass ein gestandener Mann von 59 Jahren von Mama eingeliefert wurde, war ihr in fast 50 Jahren Berufserfahrung noch nicht untergekommen.


Waldemar Jürgens schniefte mit leidendem Blick in ein großes, kariertes Stofftaschentuch. Tränen liefen ihm über die Wangen. 'Männerschnupfen' dachte Schwester Elfriede verächtlich.


„Sagen Sie die Wahrheit, hat Ihre Mutter Recht?“


Waldemar schüttelte entschieden den Kopf, so dass das Nasensekret nur so durch das Zimmer spritzte. „Du bist so böse , Mama, der netten Dame so etwas über ich zu erzählen.“


„Gib's zu, damals in der zehnten Klasse, als du dich vor dem Sportunterricht drücken wolltest und seit du beim Finanzamt arbeitest vor jeder großen Steuerprüfung. Immer kriegst du am Abend davor diese seltsamen Symptome.“


„Zufall, Mama, das ist reiner Zufall, hatschi“, das Geräusch klang eher nach einem Gewehrschuss als nach einem Niesen. Schwester Elfriede ließ vor Schreck ihr Klemmbrett fallen. So etwas war ihr ja noch nie passiert, schon gar nicht vor Patienten.


„Jetzt ist es aber gut, klären Sie das doch bitte zu Hause. Für so etwas ist die Notaufnahme nicht zuständig. Gehen Sie morgen in die Apotheke und besorgen Sie sich ein Nasenspray, dann können Sie die Steuern hier im Krankenhaus prüfen, so viel Sie wollen.“


„Wer hat Ihnen denn gesagt, dass die Steuerprüfung hier im Krankenhaus stattfinden soll?“


„Oh, blind geraten, das war nur ein Beispiel. Schauen Sie mal, bei Ihrem Niesen ist Ihnen ein Missgeschick passiert, Sie haben einen großen Urinfleck auf Ihrer hellen Hose.“


Mit hochrotem Kopf schlurfte Waldemar zur nächsten Patiententoilette.


„Jetzt sagen Sie mir ehrlich, hat er wirklich...“


„Dieser Spießer“, Gudrun Jürgens runzelte verächtlich zu tun. „Und für so jemanden haben wir für die Legalisierung leichter Drogen gekämpft.“


„Ach jetzt erkenne ich Sie, waren Sie nicht letzten Monat auch auf der Demo?“


Gudrun strahlte. „Sie kamen mir auch so bekannt vor.“


„Woher kriegt er eigentlich jetzt wirklich seinen Männerschnupfen?“


„Ach, ich reibe seine hübschen Tüchlein nach dem Waschen immer mit ein bisschen Koks ein, wenn er mir mal wieder im Weg ist. Morgen wollte ich eigentlich zum Opern Air im Weserstadion, aber Waldemar wollte mich in die Oper schleppen. Ich hatte gehofft, ihn hier ein paar Tage parken zu können.“


„Wissen Sie was? Wir haben hier am Krankenhaus eine hübsche Babyklappe. Ich schlage vor, ich verabreiche ihm eine Spritze mit Schlafmittel, angeblich, weil sie gegen den Schnupfen hilft. Dann stopfen wir ihn da rein. Und morgen gehen wir zusammen zum Open Air.“


Gudrun lächelte begeistert. Gut, dass Waldemar nicht besonders groß war und ein Gesicht wie ein Babypopo hatte. Mit etwas Glück war sie ihn für länger los, wenn die Ärzte ihn für verrückt erklärten, weil er sich doch sicher nur selbst in die Babyklappe gestürzt haben konnte, aus Angst, an seinem Männerschnupfen zu sterben.