Dottis abenteuerliche Reise


Darf ich mich vorstellen? Im Februar zog ich stolz in voller Pracht, frisch gewaschen und gebügelt in ein Pflegeheim zu meiner Besitzerin, die ich schon schmerzlich vermisst hatte. Seit Monaten hatte sie nicht mehr den Schrank geöffnet, der mein Zuhause war.


Und jetzt war sie wieder da, an einem anderen Ort. Und sie strahlte über das ganze Gesicht als sie mich sah.


„Dotti“, sagte sie. „Morgen ist hier ein großer Ball und wenn ich schon nicht selbst tanzen kann, will ich doch wenigstens die Schönste sein und das werde ich mit deiner Hilfe.“


Das klang spannend. Meine Artgenossen in meinem neuen Zuhause, sprich Schrank, wussten auch nicht, was los war. Aber schnell kam der nächste Tag und ich wurde meiner Besitzerin angezogen. Wieder strahlte sie über das ganze Gesicht und sagte „Dotti, du und ich werden das schönste Paar auf dem Ball sein.“


Dann brachte man uns in einen großen Saal, in dem schon viele andere Menschen darauf warteten, dass es endlich los ging. Meine Besitzerin bekam ein Glas mit einer Flüssigkeit, die ich noch nie gerochen hatte. Offenbar war sie die Wirkung des Getränks nicht gewohnt.


Zwei andere Menschen tanzten wunderschön allen etwas vor und als meine Besitzerin vor Begeisterung in ihrem Rollstuhl mit schunkelte, schwappte etwas von der Flüssigkeit auch auf mich. Das machte mir erst gar keine Sorgen, würde der Duft doch auch mich für immer an diesen schönen Tag erinnern. Hätte ich doch nur geahnt, was passieren würde.


Wieder in ihrem Zimmer zog mich ein netter junger Mann meiner Besitzerin wieder aus. Er rümpfte die Nase.


„Das muss wohl mal in die Wäsche“ meinte er. Wäsche? Gut, das kannte ich. Eine Stunde im Wasser treiben und ein paar Tage an der Leine hängen, dann würde ich wieder bei meiner Besitzerin sein. Aber dieses Mal sollte es anders kommen.


Als ich nach dem Bad aus meiner Bewusstlosigkeit erwachte, befand ich mich in einem Raum mit zwei Männern, die kritisch mich und meine Artgenossen begutachteten


„Hast du das schon mal gesehen?“


Der eine Mann hob mich in die Höhe.


„Nein, nicht dass ich wüsste. Wem gehört das wohl?“


„Keine Ahnung, es ist auch kein Namensschild eingenäht.“


Ach weißt du was? Gib es einfach Frau Kruse. Die hat doch immer zu wenig Nachthemden!“


Was das bedeutete? Ich ahnte es nicht. Nur eines wusste ich mit Sicherheit – meine Besitzerin hieß nicht Frau Kruse. MÄNNER! Wie konnten sie es wagen, mich als Nachthemd zu bezeichnen? Mich – ein waschechtes, praxiserprobtes Ballkleid.


Frau Kruse war ja sehr nett, aber sie lag den ganzen Tag im Bett und weil ihr ständig kalt war, zog sie ihre Bettdecke stets bis zur Nasenspitze hoch, sodass von mir nicht das kleinste Zipfelchen zu sehen war.

 

Meine Besitzerin schien mich vergessen zu haben, denn sie kam nie, um nach mir zu suchen. Vor Frust und Enttäuschung bleichte ich ganz aus und verlor meinen Glanz. Frau Kruse kleckerte viel mit ihrem Essen, sodass ich öfter als sonst in die Wäsche musste. Die beiden Männer hatten ein Schild mit dem Namen Kruse in meinen Kragen genäht und längst vergessen, dass sie eigentlich gar nicht wussten, zu wem ich wirklich gehörte. Ich überlegte schon, mich aus Frust in meine Einzelfäden aufzulösen.


Doch dann geschah ein Wunder. Eine der netten Damen, die mich immer Frau Kruse an- und auszogen, musste mich wieder mal in die Wäscherei bringen und machte einen Zwischenstopp in einem Raum, den ich noch gar nicht kannte.


„Mein Kleid! Da ist ja mein Kleid!“


Hörte ich plötzlich eine vertraute Stimme. Die nette Dame sah sich verwirrt um und schließlich auch auf mich in ihrer Hand.


„Kleid? Was meinen Sie?“


„Na das blaue mit den weißen Punkten in Ihrer Hand!“


Die Dame schüttelte verwirrt den Kopf. „Aber das ist doch nur Frau Kruses Nachthemd!“


„NACHTHEMD?“


Empört riss mich meine Besitzerin aus ihrer Hand. „Das ist mein allerschönstes Ballkleid, ich suche es schon seit dem Valentinstag!“


Und so kam es, dass mir nach einer besonders gründlichen Wäsche ein Schild mit dem richtigen Namen eingenäht wurde und ich wieder zu meiner Besitzerin zurück durfte. Noch liege ich versteckt im Schrank, aber ich habe gehört, das ist nur, damit ich nicht vor dem großen Jubiläum hier im Haus wieder verschwinde.


Mit dem Glück ist natürlich auch mein alter Glanz zurückgekehrt und ich bin sicher, dass ich auch dann wieder allen die Show stehlen werde.