Surbier tat sein Bestes, den Eindruck zu erwecken, als interessierte er sich für die Sorgen seines Kunden. Der junge Mann versuchte seit fünf Minuten ihm zu erklären, warum er in dieser Situation sofort alle seine Sparbücher und Wertpapierdepots auflösen wollte. Dabei sah er so mörderisch wütend aus, dass Surbier im doppelten Sinn dankbar war für die wieder angebrachte Glasscheibe, die ihn eigentlich vor Corona schützen sollte.Vor Bankräubern hatte Surbier schon lange keine Angst mehr. Nicht mehr, seit den beiden Erlebnissen mit einer gewissen älteren Dame.
„Jetzt beruhigen Sie sich doch, Herr Ballrauch. Die Abhebung so hoher Geldbeträge müssen Sie vorher ankündigen. Aus Sicherheitsgründen haben wir nie so viel im Tresor.“
„So verstehen Sie doch! Bis eben wurde es streng geheim gehalten. Erst vor zwanzig Minuten kam das Gerücht auf. So beeilen Sie sich doch! Jeden Moment kann es zu spät sein.“
Surbier lächelte ihn mitleidig an und hoffte dabei verständnisvoll zu wirken.
„Aber Herr Ballrauch, die Zentrale kann heute kein Geld mehr liefern. Zahlen Sie doch mit Ihrer Kreditkarte.“
„Sind Sie verrückt? So hoch ist doch mein Kreditrahmen gar nicht und bis ich nachgewiesen habe, dass ich auch noch Geld auf anderen Konten habe, kriege ich nichts mehr ab.“
Surbier überlegte boshaft, ob er dem Wichtigtuer zu verraten, dass er das verfügbare Geld ja auch auf andere Weise für den gleichen Zweck verwenden konnte. Er sah über Ballrauchs Schulter zur Wanduhr am anderen Ende der Schalterhalle. Noch fünfzehn Minuten bis zum Feierabend. Ob er die Nervensäge wohl rechtzeitig loswerden konnte?
In diesem Moment öffnete sich die Tür und eine Gestalt kam herein, die Surbier vage bekannt vorkam. Nur hatte sie bei ihrem letzten Zusammentreffen noch nicht den seltsamsten Mundschutz getragen, den er je gesehen hatte. Woran erinnerte ihn dieses Konstrukt nur? Aber das konnte ja gar nicht sein. Die Bewohner des Seniorenstiftes wurden doch sicher streng unter Quarantäne gehalten.
„Entschuldigen Sie junger Mann, würden Sie mich bitte vorlassen? Ich brauche nur schnell ein paar Scheinchen. Beim Waldi stehen sie schon Schlange.“
Erschrocken riss Ballrauch die Hände hoch. Surbier konnte es nicht fassen. Dass dieser Virus in vielen Menschen das Schlechteste zum Vorschein brachte hatte er ja schon gehört, aber dass Elfriede Mümmelmann nach so vielen Jahren guter Führung aus purer Verzweiflung wieder zu ihrem alten Metier zurückkehrte, hätte er nie erwartet.
„Nun machen Sie schon, Surbier. 200 sollten reichen. Wie immer in kleinen Scheinen.“
„200? Ich habe gerade schon dem Herrn hier erklärt, dass wir so viel gar nicht mehr auf Vorrat haben.“
„Soll das ein Witz sein? Diesen Betrag könnte ich doch sogar da draußen am Geldautomaten abheben, wenn ich nicht schon wieder meine Geheimzahl vergessen hätte.“
„Sie überfallen diese Bank tatsächlich wegen 200 Euro? Nicht 200.000?“
„Überfallen? Soll das ein Witz sein? Sie sollen mir nur etwas von meiner Rente auszahlen. Hier ist meine EC-Karte, ich dachte, Sie wüssten meine Kontonummer inzwischen auswendig. Aber jetzt ein bisschen plötzlich, bei Waldi eine Großlieferung Klopapier eingetroffen.“
„Surbier klatschte sich gegen die Stirn. Warum hatte er nicht früher daran gedacht. Hastig schob er Frau Mümmelmann den gewünschten Betrag durch das Loch in der Scheibe zu. Dann wandte er sich wieder am Ballrauch.
„Hören Sie,ich habe keine Zeit mehr für Diskussionen, ich muss schnell zu Waldi, das ist ein ernster Notfall. Wenn Sie wollen, gebe ich Ihnen auch 200 Euro. Wir können alle glücklich sein,wenn sie uns überhaupt so viel geben. Das ist ja schon fast ein Hamsterkauf.“
Ballrauch stand immer noch mit erhobenen Händen da und starrte die beiden ungläubig an.
„Das ist wirklich nett Surbier. Übrigens, passen Ihnen Boxershorts in Größe 7? Dieses Ding tut an Ihrem Po sicher bessere Dienste, als vor meinem Mund. Jetzt aber schnell Klopapier hamstern, sonst bin ich nicht rechtzeitig zur heutigen Derrick-Folge wieder zu Hause.“
Mit diesen Worten riss sie sich den Mundschutz vom Kopf, warf ihn Ballrauch zu und eilte zur Tür hinaus.